Anfang 2016 lud ich meine Liebe ein und wir flogen nach Assuan. Wir buchten uns für neun Tage im „Old Cataract“ ein. Die Reise verlief wunderbar. Alles, was in mir geschlummert hatte, brach hervor. Ich war erwachsen geworden, die emotionale, mystische Seite des Erlebens wurde mir klarer und deutlicher. Der Nil trug uns und gab Antworten auf existentielle Fragen, das Ego löste sich auf, das Herz öffnete sich – mit einem Wort: Ich fühlte mich sauwohl.
Reise zu neuen Freunden
Auf dieser Reise lernte ich meine Freunde Galal und Ala‘adin kennen. Fast täglich waren wir mit Ihnen zusammen. Der Nil und das Segeln auf ihm banden uns magisch zusammen. Galal wirkte ruhig, weise, zurückhaltend und fürsorglich, Ala‘adin trug eher sein Herz auf der Zunge.
Einige Veränderungen in Ägypten taten mir weh: Da war die enorme Bevölkerungszunahme (fast eine Verdopplung in 30 Jahren), der Rückgang der nubischen Kultur, das Schwinden des einheimischen Baustils und auch die vielen Stahlboote, welche die traditionellen Dahabiyas und Feluken auf dem Nil verdrängt hatten. Wir aber saßen in einer Feluke aus Holz, der ‚Nubian‘, die Ala‘adins Vater gehörte. Mittlerweile gibt es die ‚Nubian‘ nicht mehr. Sie musste nach 40 Jahren aus Altersgründen aufgegeben werden.
Über das Boot kamen wir ins Gespräch: Stahl sei billig, hieß es, auch gebe es keine Bootsbauer mehr, Holz mache mehr Arbeit. Ich war irritiert: „Wie teuer ist denn so ein Holzboot?“ „€ 6.000,00 bis € 8.000,00“. So viel Geld hatte ich zwar, aber was sollte ich denn mit einer Feluke? Die gammelt dann bloß hier in Assuan herum. Mit Kindern und Freunden hier segeln, vielleicht ein Seminar geben, offene Enden zusammenbringen? Das schien mir doch alles Quatsch!
„Soll ich dir das Geld leihen?“, fragte ich Ala’adin. „Nein, als Moslem machen wir solche Geldgeschäfte nicht, das ist uns verboten.“ Der Gedanke blieb fortan virulent, er tauchte immer wieder auf. Dann kam Ala´adin mit einem neuen Vorschlag: „I have an idea. We are three owners. You are the owner, you pay the boat, me I´m the Captain, I look for the boat and Galal looks for the business. And all the money we get, we make three parts!“ Das hörte sich gut an, einfache Lösungen sind immer gut! Ich schlief eine Nacht darüber und fühlte mich am Morgen ruhig und entspannt. Kopf und Bauch waren sich einig: „So machen wir es. Darauf einen Tee!“.
Die Reise ging zu Ende, wir fuhren nach Hause. Ich erzählte anderen die Geschichte, Zweifel kamen auf und wurden bestärkt. „Das ist doch Quatsch, das Geld kannst du gleich verbrennen.“ Doch das Risiko war überschaubar und – versprochen ist versprochen. Ich überwies das Geld per Western Union. In Raten, im Juli € 3000,00, dann im Herbst noch einmal € 3000,00, Anfang des neuen Jahres 2017 die letzte Rate von € 2000,00. Naiv wie ich bin, dachte ich, das war‘s.
Der Bau einer traditionellen Feluke
Ostern sollte das Boot fertig sein. Der Termin rückte näher, die Feluke schwamm aber noch nicht. Mir wuchs mein Reeder-Projekt so langsam über den Kopf. Ich beschloss, Ostern zu nutzen, um allein nach Assuan zu fliegen. Nicht in der Erwartung, eine Jungfernfahrt zu machen, ich wollte mich schlicht vom Fortgang persönlich überzeugen.
Ich hatte grobe Vorstellungen wie es ‚auf der Werft‘ steht, schließlich hatte mich Ala´adin regelmäßig mit Fotos und Videos auf dem Laufenden gehalten. Einige der Probleme und neuen Erkenntnisse waren mir auch bekannt, doch insgesamt war alles recht abstrakt für mich geblieben. Ich überwies, irgendetwas passierte und ging seinen Gang.
Alles geht seinen Gang
Was für ein Erwachen! Die ganze Faszination Ägyptens war wieder da! Ich wurde abgeholt und bei Ahmed auf der Insel Sehel untergebracht. Die „Domino-Gang“ die vor dem Haus saß, Wasserpfeife rauchte und Tee trank, kannte mich bereits aus den Erzählungen. Jeder hatte ein Bild von mir im Kopf. Was für eine Begrüßung! Alle strahlten. Ahmed und seine Familie, die Quorschis (ein Clan auf Sehel), alle kannten mich bzw. die Geschichte. Doch das merkte ich erst in den nächsten Tagen.
Die Kapitäne der anderen Feluken von Assuan hatten ebenfalls von mir gehört, Abdou der Teeverkäufer und die Szene an der Corniche; ich war bekannt wie ein bunter Hund: The Owner ist da, ich bin jetzt der „Raiz“.
Im Nachhinein erfuhr ich, was die Aktion alles in Bewegung setzte. Auch hier zunächst Unglauben: ‚Das klappt nicht, das Geld kommt nicht …‘ dann aber wusste jeder alles besser und kam mit den üblichen Ratschlägen daher: ‚Warum denn Holz, nimm doch Stahl?‘ Ala‘adin gestand mir, dass er am Anfang keine oder nur wenig Argumente hatte, letztlich war es ja meine Idee.
Überhaupt Ala’adin: Der hatte plötzlich ein Riesen-Projekt an den Hacken. Auch ich realisierte, was ich in Gang gesetzt hatte. Mein Herz ging mir auf, ich freute mich mit ihnen, und lernte, dass es gut ist, auf den Bauch zu hören, dass das Leben noch etwas mit uns vorhat. Alles war gut, ich fasste Vertrauen. Ich tauchte ein in die nubische Kultur, wurde zum Essen eingeladen, galt als Teil der Familien. Welch ein Geschenk!
Mein lieber Lieblingstom…
ich bin zutiefst beeindruckt von dem Verlauf der Geschichte. Immer wieder konnte ich Fetzen davon in unseren Teamteachings aufschnappen. Tatsächlich rund wurde sie für mich erst jetzt. Authentisch, greifbar. Und mit Erlebnissen und Eindrücken vorstellbar, die man wohl für Geld kaum kaufen kann. Vorstellbar, aber wohl niemals nachvollziehbar – denn wie häufig kommt man in eine solch wunderbare Projektentwicklung und ist für diese sogar der Schrittmacher…
Ich freue mich für Dich/Euch, dass Ihr diesen Traum ge- und erlebt habt. In meiner nahen Bekanntschaft und Verwandtschaft gab es viel Begeisterung für das Projekt.
Dank euch Beiden für diese tollen Schilderungen und passt auf Euch auf in dieser komischen Zeit.
Liebe Grüße, Arne